Er ist Käser und arbeitet auswärts, sie schmeisst den Haushalt mit drei Kindern und führt den Hof: Michaela und Martin Stadelmann haben ihr Glück auf dem Rötlerhof gefunden – trotz eines schweren Schicksalsschlags, der ihnen kurz nach der Hofübernahme widerfahren ist.
Sie habe schon viel gelesen, sagt sie am Telefon. Von Frauen, die 60 Prozent auswärts arbeiten, den Haushalt führen und sich Bäuerin nennen. Sie nerve sich jeweils ab solchen Texten, komme sich dann vor wie ein fauler Hund. Dabei ist Michaela Stadelmann genau das Gegenteil. «Melde dich doch beim ‹Böttu› und erzähl deine Geschichte, statt die Faust im Sack zu machen», empfiehlt ihre Mutter Irene Jost.
Und so ist an diesem Mittwochmorgen, Punkt 9 Uhr, die ganze Familie am Küchentisch versammelt: Martin schmiert das Brot für Manuel (3), Tochter Livia (5) versteckt sich hinter den breiten Schultern ihres Papis, der neun Monate alte Janik hat es sich in den Armen seiner Mutter gemütlich gemacht. Es wird geplaudert und gelacht, das Haus hoch über Buchs ist mit Leben gefüllt. Keine Selbstverständlichkeit nach dem, was vor knapp drei Jahren über die junge Familie hereingebrochen ist.
Über den Haufen geworfene Pläne
Es ist Anfang 2019. Michaela Stadelmann arbeitet im Hause ihrer Eltern an der Abschlussarbeit für die Bäuerinnenschule. Auf dem Urnerboden, wo sie als Leiterin des Alpkäserei-Verkaufsladens arbeitet, hat sie eine Pause eingelegt. Ihr Ehemann Martin führt den Betrieb im Hochtal schon im sechsten Jahr. Es wird das letzte Mal sein. Ende 2019 geht es zurück in die Heimat. Das junge Ehepaar übernimmt den Betrieb von Michaelas Eltern auf dem Rötlerhof ob Buchs. Einem glücklichen Generationenhof steht nichts im Weg.
Doch Ende Januar 2019 stirbt Vater Felix Jost 65-jährig völlig unerwartet an einem Herzversagen. «Ich kann mich noch genau erinnern», sagt die Tochter. «Es war der Abgabetag für meine Abschlussarbeit an der Bäuerinnenschule. Wir waren auf dem Weg Richtung Urnerboden, ich war so glücklich, alles abgeschlossen zu haben und freute mich auf das, was nun kommen sollte. Dann klingelte das Telefon.»
Von der einen auf die andere Sekunde werden die Pläne der jungen Familie über den Haufen geworfen. Statt den Verkaufsladen der Alpkäserei Urnerboden noch eine Saison weiter zu leiten und anschliessend in Buchs Fuss zu fassen, muss Michaela Stadelmann ihre Zelte von heute auf morgen abbrechen und zu Hause anpacken. Auf ihr, die langsam an ihre neue Aufgabe herangeführt hätte werden sollen, lastet auf einmal die Verantwortung für den ganzen Hof, Tochter Livia und Sohn Manuel. Martin, der auf dem Urnerboden als Betriebsleiter unentbehrlich ist, muss seinen Vertrag erfüllen, kann seine Frau nur bedingt unterstützen. Als wäre das alles nicht schon Belastung genug, stehen auf dem Rötlerhof Bauarbeiten an. Das alte Bauernhaus soll abgerissen werden und einem Neubau Platz machen. «Mein Vater hat die Baubewilligung in der Hand gehalten, sich auf das neue Haus gefreut. Also haben wir uns gesagt: Wir müssen das Projekt umsetzen.» Im Mai fahren die Bagger auf. Anfang 2020 zieht die junge Familie in ihr neues Zuhause ein.
Herausforderung und ein Knall
«Es war eine intensive Zeit», sagt die 35-Jährige und erzählt erst nach einer kurzen Pause, dass ihr das Ganze schon hie und da über den Kopf hinaus zu wachsen drohte. Sie und die beiden Kinder bewohnten während der Bauzeit gemeinsam mit Michaelas Mutter eine Übergangswohnung in Dagmersellen. Es war ein ständiges Hin und Her, eine Frage der Organisation. «Schliesslich wollte und will ich nicht die Mutter sein, die immer nur arbeitet. Ich will für meine Kinder da sein, ihnen Zeit schenken, mit ihnen auch mal einen Ausflug machen.» Alles unter einen Hut zu bringen, war eine grosse Herausforderung für die junge Mutter. «Wenn ich mal mit den Kindern eine halbe Stunde auf dem Spielplatz war, hatte ich ein schlechtes Gewissen. Schliesslich hatte ich noch so viel zu tun.» Zeit, um den Tod des Vaters zu verarbeiten, blieb keine. «Ich funktionierte einfach», sagt sie rückblickend.
Kurz nach dem Einzug ins neue Haus, als ein grosser Druck von ihren Schultern weicht, holt Michaela Stadelmann das vergangene Jahr doch noch ein. Eine hartnäckige Lungenentzündung legt sie flach. Fünf Tage liegt sie im Spitalbett, das Handy weit weg. «Mal hat jemand vom Urnerboden angerufen und wollte etwas wissen, mal gab es Fragen auf dem Bau. Irgendwer wollte immer was von mir. Nun hatte ich endlich mal Ruhe und Zeit für mich.» Es wäre grotesk zu sagen, Michaela Stadelmann hätte den Aufenthalt im Spital genossen. «Aber ich habe eine solche Auszeit gebraucht», sagt sie. Nun kann sie über das Vergangene nachdenken. Es fliessen Tränen. Die Trauerphase setzt erst ein Jahr nach dem Tod des geliebten Vaters ein. Gestärkt kehrt sie auf den Rötlerhof zurück.
Von der Bäckerin zur Bäuerin
Dass Michaela Stadelmann dereinst den elterlichen Hof übernehmen würde, war so nicht absehbar. Als jüngstes von sechs Kindern wuchs sie auf dem Rötlerhof auf, half im Stall und auf den Feldern mit. Auch während ihrer Lehre zur Bäcker-Konditorin griff sie den Eltern nachmittags bei Hofarbeiten unter die Arme. Aber selber Bäuerin werden? Nein, das kommt für die junge Buchserin nicht infrage. Auch nicht, als sie ihren erlernten Beruf aufgrund einer Mehlstauballergie aufgeben muss.
Den Ärmel nimmt es ihr erst rein, als sie ihren späteren Ehemann Martin Stadelmann kennenlernt. Der gebürtige Rohrmättler war schon oft z’Alp, nimmt Michaela eine Saison mit und heuert mit ihr später bei der Alpkäserei auf dem Urnerboden an. Ennet dem Klausenpass findet Michaela Stadelmann Gefallen an der Landwirtschaft und später auch am Gedanken, den elterlichen Hof zu übernehmen. Als Tochter Livia auf dem Weg ist, machen sie Nägel mit Köpfen. Michaela Stadelmann absolviert die Bäuerinnenschule und bereitet sich so auf das Hofleben vor. Die Saison 2019 will das Ehepaar auf dem Urnerboden noch durchziehen, dann soll es in heimische Gefilde gehen. Bekanntlich wurden die Pläne durcheinandergewirbelt.
Helferinnen und Helfer
«Nun ist ein guter Alltag eingekehrt, der für alle machbar ist», sagt Michaela Stadelmann, den kleinen Janik immer noch auf dem Schoss. Dass alle gemeinsam frühstücken können, ist nicht Alltag. Martin arbeitet Vollzeit auswärts, ist Produktionsleiter in einer kleinen Käserei im Aargau. Sein Wecker klingelt früh, um halb vier ist Arbeitsbeginn. «Dafür bin ich nach dem Mittag zeitig zu Hause», sagt der 41-Jährige. Da er letztes Wochenende gearbeitet hat, geniesst er heute einen Freitag. Wobei dieser Ausdruck fehl am Platz ist. Auch heute ist er zeitig aus den Federn. «Wenn ich Ferien oder frei habe, mache ich morgens den Stall.» Ansonsten ist dies das Hoheitsgebiet von Michaela.
Bei drei Kindern und einem Mann, der auswärts arbeitet, alles alleine managen zu können, ist ein Ding der Unmöglichkeit. «Ohne Unterstützung ginge es nicht», gibt Michaela Stadelmann zu. Mutter Irene Jost, welche die Wohnung im Obergeschoss bewohnt, ist ihr eine grosse Stütze. Mal schaut sie morgens im Stall zum Rechten, mal hütet sie die Kinder. Und auch auf die Hilfe der anderen Familienmitglieder darf Michaela Stadelmann zählen. Onkel, Schwestern, Schwager, Tante und Cousins unterstützen die junge Bäuerin mit hilfreichen Tipps und in praktischen Belangen.
Die Hauptarbeit auf dem neun Hektar grossen Hof aber bleibt an der Bäuerin hängen. Sie mistet und füttert die 14 Mutterkühe, schaut, dass es den momentan zwölf Jungtieren gut geht. Hinzu kommt die Landschaftspflege und das «Bschütten» sowie die Bewirtschaftung der Hochstammbäume, die heuer aufgrund mehrerer sommerlicher Hagelstürme fast keine Früchte tragen. Umso mehr Zeit in Anspruch nimmt die Administration. Bei so viel «Büez» noch auswärts arbeiten? Michaela Stadelmann schüttelt den Kopf. Sie ist zufrieden und glücklich, so wie es nun läuft.
Schreibe einen Kommentar